Vor dem Heimspiel gegen Leverkusen hatte ich das Vergnügen mit Blogger-Kollege Jens Peters vom Leverkusen-Blog Catenaccio zu plaudern. Hier nun der eine Teil des Doppel-Interviews, bei dem ich die Fragen stellen durfte. Ein Gespräch über Leverkusener Phlegma, sozialpsychologische Ursachenforschung, Labbadias Qualitäten und Offensive, bis es knallt. Den komplementären Part des Interviews mit unseren Tipps zum Spiel bekommt ihr hier zu lesen.
Enno: Jens, am Samstag trifft die Werkself aus Leverkusen in Berlin auf den aktuellen Spitzenreiter Hertha BSC. In der Hinrunde stand die Partie noch unter umgedrehten Vorzeichen: Leverkusen war Zweiter und Hertha irgendwo im Mittelfeld untergetaucht. Warum läuft es für Bayer derzeit nicht in der Bundesliga?
Jens: Ich habe jetzt eine Viertelstunde vor dieser Frage gesessen und keine Antwort gefunden. Klar gibt es das “Jugendproblem”, dass wohl zu einer gewissen Inkonsistenz in den Leistungen führt, aber in wie weit zum Beispiel das Leverkusener Phlegma eine Rolle spielt – das lässt sich nur erahnen. Weitere Faktoren dürften die mangelnde Chancenauswertung sein, aber auch der Trainer wird für mich immer mehr zum Thema. Oder wie kann es sein, dass ein so talentiertes Team, nicht ein Spiel nach einem Rückstand gedreht hat? Die Tiefe des Kaders habe ich in der Hinrunde immer wieder bemängelt, aber auch das darf kein Grund mehr sein, denn einige Verletzte sind wieder dabei, mit der Verpflichtung von Kroos und Charisteas hat man jetzt weitere Optionen. Habe ich jetzt etwas sinnvolles zu deiner Frage geantwortet? Ich bin mir nicht sicher!
Enno: Bleiben wir mal bei einem Wort, das die letzten Wochen immer wieder durch die Presse geisterte. Was hat es mit dem Leverkusener Phlegma auf sich? Ist das eine bedeutungslose Zeitungs-Erfindung, die von der Mannschaft aufgegriffen wurde? Oder taugt das Phlegma wirklich als Erklärung für den Abschwung?
Jens: In Leverkusen fangen bei Veröffentlichung dieses Interviews, wieder die Rudi-Völler-Gedächtnis-Glocken, an zu läuten. Warum? Der Begriff “Phlegma” wurde in Verbindung mit Werkself gebracht. Zu was das führen kann, hat ja schon die Äußerung von Rene Adler gezeigt, der gleich einen übergebraten bekam. Das ist ein bisschen so, als ob man gegenüber der katholischen Kirche vor 500 Jahren behauptet hätte, die Erde wäre rund. Der Scheiterhaufen droht, in Leverkusen droht die Verhöhnung durch Rudi Völler. Leverkusen und Phlegma – nein das passt nicht. Ich finde schon, auch wenn es mir egal ist, ob es Phlegma oder sonst wie bezeichnet wird. Vielleicht muss man tief in die Sozialpsychologie tauchen um so etwas wie “self-fulfilling prophecies” auszugraben. Man erwartet von mir die Niederlage, also spiele ich schlecht und verliere. Ich glaube viele Spieler wissen um Vizekusen, Phlegma, etc. Das saugt man als junger Akteur wohl noch eher auf und vielleicht kommt es dann zu diesen ominösen Leistungen!?
Enno: Es könnte natürlich eine sozialpsychologisch erklärbare Ursache namens Phlegma sein. Jedoch habe ich jüngst gelesen, dass eine eklatante Schwäche der Leverkusener darin besteht, dass die Mannschaft nicht in der Lage sei, das Spieltempo zu wechseln. Sie können nur volle Pulle Offensive. Wenn sich ein Gegner darauf einstellen kann, gäbe es für Bayer nichts zu holen. Das wäre allerdings sportlich zu erklären und der Schuldige mit Labbadia schnell gefunden.
Jens: Ja ich tendiere im Moment auch eher dazu, die Schuld beim Trainer zu suchen. Es gibt einfach zu auffällige Fehlerquellen, wie beispielsweise das Verhalten bei Standards. Die Tatsache, dass Spieler immer wieder ähnliche fehlerhafte Verhaltensmuster an den Tag legen, wie zum Beispiel Rene Adler beim Abfangen von hohen Bällen, oder das wenig oder gar keine Spieler eingewechselt werden, die ein Spiel drehen. Dies sind alles Punkte, die ich auch in den Verantwortungsbereich des Trainers schreiben würde. Letztlich kommen viele Dinge zusammen, die dazu geführt haben, dass Bayer jetzt 7. und nicht 2. ist. Unvermögen, technische und taktische Pannen, Pech, falsche Entscheidungen im falschen Moment und und und.
Enno: Michael Skibbe hatte zum gleichen Zeitpunkt der letzten Saison vier Punkte mehr auf dem Konto. Er musste am Ende der Saison gehen. In meiner Außenperspektive hat sich der Trainerwechsel bisher nicht wirklich ausgezahlt. Ist Labbadia der Falsche oder ist das Team einfach nicht in der Lage mehr zu erreichen als den sechsten Platz? Was erwartest du noch für diese Saison?
Jens: Ja – das habe ich heute morgen auch mit Erschrecken gelesen. Ich glaube, dass Labbadia schon ein guter Trainer ist, allerdings denke ich auch, dass er noch Entwicklungspotenzial hat und die ein oder andere Sache lernen muss. Und da bin ich mir dann wieder nicht so sicher, ob er auch Ratschläge von Außen annimmt. Auf der anderen Seite scheint er einen Plan, eine Taktik für das Team zu haben. Messen lassen, muss er sich am Ende der Saison. Die Leverkusener werden sich noch gut an die Niederlagenserie zu Ende der letzten Spielzeit erinnern können. Wichtig ist, dass das der Labbadia-Mannschaft nicht auch passiert.
Enno: Mit der Bitte um eine halbwegs realitätsnahe Antwort: Wo landet Bayer Leverkusen am Ende der Saison?
Jens: Das müsste ich erst durchtippen. Nein im Ernst, ich vermute mal, dass sich die Werkself wieder fängt und man dann im Bereich der internationalen Plätze mitkickt. Irgendwo zwischen Platz 5 und Platz 7. Gerade male ich mir übrigens aus, dass Bayer ja auch mal wieder DFB-Pokal-Sieger in Berlin werden könnte… Dann dürft ihr auch Meister werden!
Enno: Einverstanden, damit kann ich bestens leben! Kommen wir zur anstehenden Partie am Samstag. Das Hinspiel hat Leverkusen ziemlich unverdient verloren. Euer Team machte das Spiel, Hertha nahm die Punkte mit. Für die Berliner war das ein typischer Sieg und die Werkself hat auf diese Weise schon einige Spiele in dieser Spielzeit verloren. Wird sich der Ablauf in Berlin also wiederholen?
Jens: Die Bigpoints hat man in der Rückrunde geholt, also gewinnen wir in Berlin. Ich erwarte eine Leistung wie in Hoffenheim oder gegen die Bayern im Pokal. Allerdings spielt die Hertha immer ein bisschen wie ein “Underdog” gegen die “Großen”. Also ganz sicher und eng hinten stehen und dann fiese Nadelstiche setzen. Damit kommt Bayer gar nicht gut klar. Ein Sieg muss trotzdem her, sonst wird es verdammt hart in den verbleibenden Partien.
Enno: Um auf den Beginn des Interviews zurückzukommen: Es ist interessant, wie sich die Vorzeichen verschoben haben. In der Hinrunde hast du vor der Partie einer möglichen Niederlage sogar etwas Positives abgewinnen können, weil du befürchtet hast, dass die Mannschaft sonst von Erwartungen erdrückt werden könnte. Jetzt muss das Team auch gewinnen, allerdings unter dem Vorzeichen, dass sonst eine dicke Krise herrscht. Es läuft also darauf hinaus, dass Leverkusen stürmen wird. Das allerdings ist mit Sicherheit ein Fehler, wenn man gegen Hertha spielt. Ist eine Niederlage damit schon besiegelt?
Jens: Ich gehe schon davon aus, dass man dieses Mal vielleicht taktisch etwas anders ausgerichtet ist. Selbst Labbadia sollte es auffallen, dass die ein oder andere Taktik, also vor allem die EINE, also die OFFENSIVE, nicht immer zum Erfolg führt. Ich lasse mich überraschen, hoffe und glaube aber fest an einen Sieg. Dass es die Krise noch nicht gibt, ist sowieso sehr verwunderlich und wohl nur den guten Leistungen des Teams geschuldet. Hätte man vornehmlich schlecht gespielt und verloren, sähe die Lage anders aus, aber vielleicht begreift man in Leverkusen auch mal, dass schön spielen, nicht immer zum Erfolg führt. Siehe letztes Saisonende!
Enno: Ich wünsche dir und den Leverkusenern nach dem Spiel noch viel Erfolg für diese Saison und bedanke mich für das Interview.
→ Und noch den ergänzenden Teil des Doppel-Interviews auf Catenaccio lesen!
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Ein Kommentar
Interessantes Interview, danke fürs veröffentlichen!
Bin zwar kein Hertha-Fan aber hauptsache Bayern wird nicht Meister
Ein Trackback
[...] Zeitungen und Bloggern geht, werden wir ein ähnliches Spiel sehen, wie im Hinspiel. Jens und ich sprachen darüber. Tagesspeichel, BZ und ND sind sich auch einig. Auch Rudi Völler sagte [...]