Der Sieg von Hertha BSC gegen Eintracht Frankfurt war Understatement pur. Vollkommen untertrieben war der Auftritt im Olympiastadion, das war alles andere als ein Schmankerl und die Leistung gerade noch ausreichend für einen Sieg. Anstatt ein exzellentes Fußball-Spiel aufzuziehen und die Frankfurter mit fünf Toren nach hause zu schicken – was ja den derzeitigen Erwartungen an spektakulärem Fußball entsprechen würde und durchaus im potentiellen Leistungsspielraum von Hertha BSC liegt – spielte die alte Dame eine dermaßen ruhige Kugel, dass man gar nichts anderes unterstellen kann als Absicht. So wie man Fahrern mit Hut auch Absicht unterstellt, wenn sie auf einer Autobahn ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf der mittleren Sput mit 100Kmh den Verkehr blockieren oder im Supermarkt dem Rentner, der mit seiner Gehhilfe im Wege steht. Absichtliche Verlangsamung, weil man es sich leisten kann. Absichtlich unsouverän zu gewinnen, scheint mir DAS Erfolgsrezept dieser Saison zu sein. Und Hertha spielt so häufig mit unglaublicher Zurückhaltung und gleichzeitig so erfolgreich, dass ich dafür nur den Begriff des Understatements finde. Keine bajuvarische Großkotzigkeit, keine Sinsheimer Schauspieleinlagen, keine opladener Ballstafetten und dennoch Zweiter. Berliner Understatement. Genial!
Ich finde den Sieg absolut gerechtfertigt. Ich habe mir das Spiel heute morgen in Ruhe auf Hertha-TV angeschaut. Ich kannte das Ergebnis schon und konnte mich daher ganz auf das Spiel und seine Entwicklung konzentrieren, ohne von meiner eigenen Nervosität abgelenkt zu sein. So konnte ich zwar beobachten, dass Frankfurt immer dann ein paar Chancen erarbeiten konnte, wenn Hertha das Tempo aus dem Spiel nahm und den Gegner kommen ließ. Aber Hertha hatte dennoch den Taktstock in der Hand und dirigierte das Spiel, samt Gegner, nach Belieben. Mal ein kurzes Crescendo, dann wieder entspanntes Legato quer über den Platz. Ausschlaggebend für Herthas Überlegenheit war für mich die Unfähigkeit Frankfurts, die Spielräume für Soloeinlagen zu nutzen. Jedes mal präsentierte sich die Frankfurter Mannschaft wie eine Zweitbesetzung im Orchester. Keiner spielte die erste Geige. Die ersten Reihen des Ensembles waren ausschließlich mit Herthanern besetzt.
Den größten Auftritt hatte selbstverständlich Star-Geiger Marko Pantelic! Unglaublich, wozu er immer noch in der Lage ist. Das erste Tor war das Resultat einer geschlossenen Mannschaftsleistung, in der sich das Orchester zu einem überwältigendem Klangteppich aufschwung, sodass Pantelic auf dem Höhepunkt mit dem rechten Außenrist glänzen konnte. Ein Star-Geiger wie Pantelic steht dort, wo er stehen muss und verpasst seinen Einsatz natürlich nicht. Das zweite Tor von Pantelic hatte mit einer klassischen Inszenierung eigentlich nichts mehr gemein. Free-Jazz ist hier wohl eher das Stichwort. Unglaublich, wie plump Steinhöfer neben der Soloeinlage von Pantelic aussah. Der ritt die Tonleitern rauf und runter und wuchtete den Ball aus unglaublicher Position ins Tor. Pantelic beherrscht nicht nur die orchestrale Inszenierung, sondern auch die individuelle Meisterleistung eines Free-Jazz-Artisten. Das macht ihn so wertvoll. Immer wieder.
Die Berliner Verteidigung mit Simunic und Friedrich stand erwatungsgemäß solide, obwohl sie von Stein und von Bergen flankiert wurde. Drobny hatte in der Luft das ein oder andere Problemchen. Das wird er wohl nicht mehr lernen. Nicu wird wohl nicht mehr im defensiven Mittelfeld spielen, sobald sich Alternativen anbieten. Das Spiel in der Zentrale hat ihn deutlich überfordert, soviele Fehlpässe hat er produziert. Raffael auf der Außenbahn halte ich nach wie vor verschenkt. Das konnte man gegen Frankfurt erneut beobachten. Voronin, Ebert und Cicero erledigten ihren Job souverän.
Von den Neuen, Babic und Cufré war noch nicht viel zu sehen. Ich bin gespannt, ob und wie sie sich in der Mannschaft einbinden lassen. Diese Frage wird frühestens am kommenden Freitag in Bielefeld beantwortet werden können.
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5 Kommentare
Das Beste am Spiel waren die drei Punkte und die Gewissheit, dass Pantelic wohl erstmal ausfällt.
Ansonsten abhaken und gebannt nach Bielefeld schauen. Bist du nun im Stadion?
Ich schau in meiner Fußballkneipe hier im bajuwarischen Exil und hoffe auf einen hässlichen Auswärtssieg.
Ja, ich werde auf jeden Fall im Stadion sein. Wie gesagt, weiß ich noch nicht wo, weil ich mir erst am Spieltag eine Karte kaufen werde.
Aber die Kamera nehme ich mit und werde am Wochenende berichten.
Das schönste an dem Sieg ist für mich eigentlich, dass Funkel nach dem Spiel von einem glücklichen Sieg von Hertha sprach.
Das kann ich natürlich nicht nachvollziehen, denn der Schiedsrichter hätte Pröll bei seiner Attacke durchaus Rot zeigen können und ich will nicht wissen, wie ein kalter Torhüter erst einen Elfer parieren muss und dann sein Team mit 10 Mann die letzten 60 Minuten einen 0:2 Rückstand aufholen soll. Ein schrecklicher Schachtelsatz! Ich lasse ihn trotzdem stehen.
Nach dem gestrigen Handballfinale lies ich (warum auch immer) RTL laufen. In den RTL NEWS (oder so) wurde dann über Hoffenheim, Hamburg und Bayern berichtet. Spielszenen, Interviewausschnitte, dramatische Musik. Schließlich geht es um die Meisterschaft! In den fünf Minuten wurde Hertha BSC mit keiner einzigen Silbe erwähnt.
Einerseits macht mich das froh, auf der anderen Seite kotzt mich diese Ignoranz so langsam ein wenig an!
Heute habe ich das erste mal in einem Artikel von Claudio Catougno in der SZ das Wort Meisterschaft lesen dürfen. Aber eher skeptisch fragend, denn wirklich ernsthaft. Aber immerhin werden sie Hertha nicht mehr lange ignorieren können, denke ich.
Mir stinkt es nämlich auch gewaltig!
Mir ist das eigentlich ganz recht. Nach den nächsten 2 Spielen wird man sehen wo der Weg hingeht. Dann kommen sie (im Erfolgsfall) sowieso an wie die Schmeißfliegen.
Am besten wärs doch am 34. Spieltag erstmals Platz 1 zu erklimmen und dann in die dummen Gesichter der deutschen Fußballrepublik zu schauen.
Hach, zu lustig wär das.
Andererseits kann gegen Bielefeld auch schon wieder alles vorbei sein, deswegen erstmal Ball flach halten und ruhig bleiben.
Ein Trackback
[...] nach einem Zwei-Tore-Rückstand das Ruder umgerissen. Das ist kein Glück, höchstens Undestatement. Darauf kann die Mannschaft vertrauen. Und auch wir [...]